Mascha Kaléko: Gedichte
Autor: RiverSong
Mein Herz schrie auf.Ich bin erwacht
Und starre dunkel in die Nacht.
Die Stadt schlief ein auf grauem Stein.
Ich bin allein.Bin ganz allein.
Mich hat ein Traum erschreckt.
Das hinterlistige Tier,
Der tags verscheuchte Kummer streckt
Die Fänge aus nach mir.
Erstorben schweigt das leere Haus.
Nun ging die letzte Lampe aus.
Wer jetzt nicht ruht, den weckte Schmerz.
Ich bin erwacht.Es schrie mein Herz.
Wie ich vor dem Fenster, so stehn
Allerorten wohl nächtliche Brüder,
Die Sterne verblassen zu sehn
Und dem Uhrenschlag wieder und wieder
Zu lauschen und dem Klang der verschollenen Lieder
In des Morgenwinds tröstlichem Wehn.
Altmodisches Uhrenlied
*
Mein Zeiger läuft
Und kommt doch nirgends an.
Er tickt mir Zeit und Unzeit
Nach festgefügtem Plan.
Ich schlafe oder wache,
Er aber geht und geht.
Was immer ich auch mache,
Er tickt : Zu spät. Zu spät.
*
Von Zeit zu Zeit ertönen
Vier Schläge, zögernd, lang.
Ein Glöcklein hör ich stöhnen,
Mir wird von Herzen bang.
Da falten sich die Hände,
Es hat gewinkt, es hat gewankt.
Der Pendel stockt behende -
Ich bin am Ende
Angelangt.
*
Das Glück ist arm an Phantasie.
Sein Repertoire ist ziemlich klein;
Das Unglück aber - ein Genie!
Ihm fällt stets etwas Neues ein.
Ein sogenannter schöner Tod
Eines Morgens wachst du auf und bist
nicht mehr am Leben.
Über Nacht, wie Schnee und Frost, hat es sich
begeben.
Aller Sorgen dieser Welt
bist du nun enthoben.
Krankheit, Alter, Ruhm und Geld
sind wie Wind zerstoben.
Friedlich sonnst du dich im Licht
einer neuen Küste
ohne Ehrgeiz, ohne Pflicht.
- Wenn man das nur wüsste !......
Das berühmte Gefühl
Als ich zum ersten Male starb,
- Ich weiß noch, wie es war.
Ich starb so ganz für mich und still,
Das war zu Hamburg, im April,
Und ich war achtzehn Jahr.
Und als ich starb zum zweiten Mal,
Das Sterben tat so weh.
Gar wenig hinterließ ich dir:
Mein klopfend Herz vor deiner Tür,
Die Fußspur rot im Schnee.
Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr.
Weil Deine Augen so voll Trauer sind,
Und Deine Stirn so schwer ist von Gedanken,
Laß mich Dich trösten, so wie man ein Kind
In Schlaf einsingt, wenn letzte Sterne sanken.
Die Sonne ruf ich an, das Meer, den Wind,
Dir ihren hellsten Sonnentag zu schenken,
Den schönsten Traum auf Dich herabzusenken,
Weil Deine Nächte so voll Wolken sind.
Und wenn Dein Mund ein neues Lied beginnt,
Dann will ich Meer und Wind und Sonne danken,
Weil Deine Augen so voll Trauer sind,
Und Deine Stirn so schwer ist von Gedanken ...
Kurzer Dialog
Du und ich, lieber Gott,
wir beide wissen es,
dass deine Welt noch lange nicht
fertig war, als der siebente Tag
anbrach.
Du hattest dich dazumal
darauf verlassen,
dass deine Geschöpfe
Gehilfen dir würden.
O weh.
Leiden läutert uns nicht,
und durch Schaden wird man nicht klug.
Nur gerissen.
-Herr, du gabst uns die Welt, wie sie ist.
Gib uns doch bitte dazu
das seinerzeit leider
nicht mitgelieferte
Weltgewissen!
Ausgleichende Gerechtigkeit
Die Strafe, die ich oft verdient,
gestehen wir es offen:
ist sonderbarerweise nie
ganz pünktlich eingetroffen.
Der Lohn, der mir so sicher war
nach menschlichem Ermessen,
der wurde leider offenbar
vom Himmel auch vergessen.
Doch Unglück, das ich nie bedacht,
Glück das ich nie erhofft -
sie kamen beide über Nacht,
so irrt der Mensch sich oft.
Die Zeit steht still
Die Zeit steht still.
Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.
So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens
an uns vorbei zu einem andern Stern
und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.
Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.
Die Zeit steht still.
Wir sind es, die enteilen.
Zur Heimat erkor ich mir die Liebe
Ausgesetzt
in einer Barke von Nacht
trieb ich
und trieb an ein Ufer.
An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlaß.
Nur auf Wunder.
Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
trank von dem Wasser, das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
fror ich mich durch die finsteren Jahre.
Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.