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Diagnose: Schreibblockade

Dreimonatige Challenge
von

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7.6.2024: Euphorisch

„Boah! Mama! Guck mal!“

Kaum hatten sie den Baumarkt betreten, standen sie dank Tilos Ausruf sogleich im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Während Judith ihren Sohn mit einem „Nicht so laut, Schatz“, ermahnte und die teils neugierigen, teils skeptischen Blicke der anderen Kunden ignorierte, fühlte Hellen sich an unangenehme Situationen zurückerinnert. Sie senkte den Kopf und zog die Schultern hoch, während ihre Schwester erhobenen Hauptes ihren Einkaufswagen vor sich her schob.

„Mama, komm schnell und guck mal!“, zeigte Judiths Tadel wenig Wirkung und der Neunjährige schien vor Begeisterung fast zu zerplatzen. Immer wieder rannte er zwischen seiner Begleiterinnen und der Lampenabteilung am Anfang des Baumarktes hin und her und zeigte aufgeregt auf eines der Regale.

„Was ist denn los, mein Schatz?“, fragte Judith und folgte ihn, ohne dabei ihren Schritt jedoch zu beschleunigen.

„Darf ich die haben? Bitte, bitte, bitte! Ich hab doch bald Geburtstag!“, deutete Tilo auf eine Lampe, die zur Gänze aus Plastik zu bestehen schien und in Form eines Autos gegossen war. Judith zog die Augenbrauen zusammen und stemmte die Hände auf die Hüften. Hellen wusste, dass ihre Schwester von diesen billig gemachten Dingern, die viel zu viel Geld kosteten, gar nichts hielt. Aber sie wusste auch, wie Tilo manchmal aufdrehen konnte, wenn ihn die Euphorie packte und nun war sie entsprechend neugierig, wie dieses Gespräch wohl ausginge.

„Guck mal, da sind sogar Türen und Fenster dran. Und Scheinwerfer!“, begeisterte er sich, während seine Mutter die Lampe schweigend in den Hand nahm und begutachtete.

„Du hast erst in drei Monaten Geburtstag“, murmelte sie mit kritischem Blick und wusste genau, dass er dieses Gespräch schnell wieder vergessen haben würde, wenn die Lampe erst einmal bei ihm stünde – und dass es bis zu seinem Ehrentag sicherlich noch weitere Situationen gäbe, in denen er seinen Geburtstag als Grund nennen würde, weil er sich etwas wünschte. Auf eine Diskussion würde es früher oder später also ohnehin hinauslaufen, die Frage war nur, wann und ob sie bereits heute stattfände.

„Ich find die ganz schön billig gemacht. Und wenn ich überlege, was die kosten soll…“, schüttelte Judith den Kopf und betrachtete die Lampe abermals ausgiebig.

„Ach, bitte Mama! Die würde so toll an meinem Bett aussehen! Ich wünsch mir nichts mehr als diese Lampe!“, begann Tilo zu betteln und Hellen konnte sich ein kleines Schmunzeln aufgrund seiner wachsenden Theatralik nicht verkneifen. Trotzdem wollte sie sich der Situation aber gerne entziehen und ließ ihren Blick über die Hinweisschilder zu den verschiedenen Abteilungen schweifen. Am weitesten entfernt lag der Holzbereich und zu dem mussten sie eh noch. Wie passend!

„Ich schau schon mal nach den Regalbrettern“, warf sie schnell ein, als Tilo gerade Luft für weitere schlagende Argumente sammelte und huschte davon.

„Wir kommen auch gleich!“, hörte sie Judith zwar noch hinter sich, aber ganz so sicher wie ihre Schwester war sie sich da nicht. Irgendwie bewunderte Hellen es ja, dass Judith sich von den Blicken anderer nicht verunsichern ließ, wenn sie mit Tilo über etwas diskutierte, aber sie selber fühlte sich in solchen Situationen immer umso unwohler. Vielleicht noch Nachwirkungen von ihrer Zeit an Richards Seite, überlegte sie. Aber kaum hatte sie den Gedanken in ihrem Kopf zugelassen, spürte sie, wie ihr Magen sich zu verknoten schien und beschleunigte ihren Schritt, um sich mit der Suche nach den passenden Brettern abzulenken. Dabei stellte sie allerdings schnell fest, dass die Auswahl schier erschlagend war und sie keine Ahnung hatte, was sie nehmen sollte.

„Tja, und nun?“, verschränkte sie die Arme vor der Brust, kaute auf der Unterlippe und ließ immer wieder den Blick über die verschiedenen Hölzer, Bretter und Latten schweifen. Aber wenigstens schien sie nicht die Einzige zu sein, die unschlüssig durch den Baumarkt irrte.

„Sind das die richtigen Dübel?“, hörte sie in der Nähe jemanden rufen und zuckte zusammen, als die Antwort unweit von ihr fiel.

„Nein, das normale! Wir brauchen die für Trockenbau. Guck noch mal, die müssten auch da irgendwo sein. Ich such schon mal die Leisten zusammen!“, kam ihr die Stimme mächtig bekannt vor und mit entgleistem Gesicht sah sie eine inzwischen wohl bekannte Person den Gang betreten.

„Oh!“, hob Steffen überrascht die Augenbrauen und grinste, aber Hellen drehte wie ertappt den Kopf weg und verglich konzentriert die Bretter. Hoffentlich kamen Judith und Tilo nicht ausgerechnet jetzt zu ihr, sodass dieser Kerl dem Jungen wieder Flausen in den Kopf setzen konnte! Andererseits… irgendwie hätte sie auch gern gesehen, wie Judith auf sein freches Verhalten reagieren würde. Zunächst musste sie aber wohl selbst mit ihm fertig werden.

„Nun hab ich aber langsam den Eindruck, dass Sie mir heimlich nachlaufen“, scherzte er, während er sich neben sie stellte und lachte auf, als sie ihn wutentbrannt anfunkelte.

„Was fällt Ihnen…“, wollte sie ihn anzischen, doch Steffen unterbrach sie flott mit einer Gegenfrage.

„Der Kurze am Eingang kam mir gleich so bekannt vor. Und? Waren Sie noch auf der Automobilausstellung?“, schaute er sie kurz von der Seite an und zog dabei einen Zettel aus der Hosentasche. Hellen schnaubte aus und hätte am liebsten mit dem Fuß ausgestampft.

„Ich war nicht mit“, knurrte sie und wendete sich betont schwungvoll dem gegenüberliegenden Regal zu, um die dargebotenen Waren in aller Ausführlichkeit zu begutachten. Aus den Augenwinkeln konnte sie erkennen, wie Steffen sie einen Augenblick lang musterte, ehe er sich mit einem „Verstehe“ den Leisten vor sich zuwendete. Im Gegensatz zu Hellen schien er genau zu wissen, was er haben wollte und hatte die gewünschten Leisten in Windeseile zusammengesucht. Trotzdem fühlte sich die aufgekommene Schweigsamkeit für Hellen plötzlich wie eine Ewigkeit an und sie war froh, als ein weiterer Kunde in ihren Gang kam. Sie seufzte innerlich aus und zuckte dann doch wieder zusammen.

„Du meinst die hier“, stellte sich der junge Mann als Steffens Begleiter heraus und hielt ihm eine Packung Dübel vor die Nase.

„Ja, genau. Die anderen würden dir einfach ausreißen. Aber die hier darfst du auch nicht zu sehr belasten – Rigips ist nun mal kein Mauerwerk“, warf Steffen einen kurzen Blick auf das Päckchen und legte es dann in seinen Einkaufswagen.

„Ist ja klar, dass ausgerechnet in meinem Zimmer so gestümpert wurde und ich die billigen Trockenbauwände kriege“, hörte Hellen von dem zweiten Mann und musterte ihn vorsichtig.

„So billig sind die gar nicht mal!“, lachte Steffen und ging seinen Einkaufszettel wieder durch.

„Wenn du lieber eine krumme Wand für dein Regalbrett haben willst, kannst du den Rigips natürlich gern wieder abreißen, aber dann beschwer dich hinterher nicht, dass es blöd aussieht“, meinte er und trat ein paar Schritte zur Seite, um weiteres Material auszuwählen, wobei er etwas davon murmelte, dass sie gleich noch nach den passenden Schrauben gucken mussten.

„Ach, nachdem du dir schon so viel Mühe beim Einbau gegeben hast…“, zuckte Detlef gönnerhaft die Schultern und betrachtete anschließend Steffens Auswahl, vor allem die Zierleisten.

„Können wir die nicht über die Schreinerei günstiger bekommen als hier im Baumarkt?“

Steffen schaute zu seinem Begleiter hinüber und schmunzelte.

„Wie lang bist du jetzt bei uns? Dass wir solche Zierleisten nicht haben, hätte dir eigentlich schon auffallen müssen“, meinte er und lachte bei Detlefs Frage, ob sie die Leisten nicht einfach selbst herstellen könnten.

„Klar, du kannst auch in den Wald gehen und den Baum selbst fällen“, gab Steffen zurück und klopft Detlef herzhaft auf die Schulter.

„Siehst du? Darum bist du der Azubi und ich der Geselle.“

Detlef verdrehte genervt die Augen und brachte Steffen damit nur noch mehr zum Grinsen.

„Ich glaub, ich fahr gleich noch Saskia besuchen und du kannst deine Zierleisten alleine an die Decke zimmern“, knurrte er, aber Steffen gab zu bedenken, dass das ein sehr kurzer Besuch wäre, da sie am nächsten Tag wieder früh zur Arbeit müssten. Hellen fand das Gespräch der beiden zunehmend verwirrend, aber auch interessant und merkte nicht, wie sie ihnen immer offener bei den Frotzeleien zusah. Erst Detlef wies sie darauf hin, als er ihren fragenden Blick bemerkte und sie darauf ansprach.

„Brauchen Sie Hilfe?“, nickte er vielsagend zu den Brettern, vor denen sie stand und brachte sie damit in Verlegenheit.

„Nein, sie fragt sich nur, was wir für zwei Trottel sind“, warf Steffen ein, ehe sie antworten konnte und machte die Situation damit für sie noch unangenehmer. Detlef ließ sich davon aber nicht beirren.

„Hey, schließ nicht von dir auf andere“, grinste er Steffen an und wendete sich dann mit einem „Was suchen Sie denn? Vielleicht können wir Ihnen helfen“, wieder an Hellen.

„Ähm… ich äh möchte ein Regal bauen“, murmelte sie und fragte sich wieder, wo Judith und Tilo nur blieben.

„Oh, selber bauen statt einen fertigen Bausatz zu nehmen?“, nickte Detlef anerkennend, aber Hellen schüttelte schnell den Kopf.

„Nein, nein, ich meinte, ich möchte ein paar Regalbretter an die Wand hängen“, korrigierte sie und spürte, wie sie rot wurde. Sie hatte nicht viel Ahnung von handwerklichen Dingen und das jetzt so offen zu zeigen war ihr peinlich.

„Ah, verstehe, dann sind Sie hier schon mal auf der falschen Seite. Da vorn sind die Regalbretter“, zeigte Detlef zu der Stelle, an der Hellen zuerst gestanden hatte und begann dann, sie nach den gewünschten Maßen und der geplanten Konstruktion zu fragen.

„Man kann zum Beispiel frei schwebende Regalbretter machen“, schlug er vor und suchte auf dem Handy einige Beispiele raus, als Hellens fragender Blick ihm verriet, dass sie sich über die Art der Anbringung offensichtlich noch keinerlei Gedanken gemacht hatte.

„Sie… haben da wirklich viel Ahnung von, was?“, murmelte sie und Detlef grinste.

„Als angehender Holzwurm sollte ich das wohl“, zwinkerte er ihr zu und holte dann Steffen wieder ins Gespräch, der sich die Unterhaltung zwischen Detlef und Hellen bisher schweigend angesehen hatte.

„Du betonst doch immer, dass du hier der Geselle von uns beiden bist. Dann hilf mal mit! Was würdest du ihr raten?“, fragte er ihn und zählte ein paar der von ihm genannten Möglichkeiten auf. Steffen aber lächelte und schüttelte den Kopf.

„Du kriegst das schon hin. Deine Vorschläge waren gut und auf welche Dübel geachtet werden muss, weißt du jetzt auch. Ich hol schon mal die Schrauben. Wir treffen uns gleich an der Kasse“, packte er zu Detlefs großer Verwunderung die restlichen Leisten auf den Einkaufswagen und drehte Hellen und ihm mit einem „Man sieht sich“ den Rücken zu.

„Äh… einen Moment“, nuschelte Detlef zu Hellen und lief Steffen nach.

„Sag mal, was ist denn mit dir los?“, flüsterte er ihm zu und war noch irritierter, dass Steffen nicht einmal stehen blieb.

„Du erinnerst dich an das Mädel von der Eisdiele?“, murmelte er und Detlef nickte.

„Sie hat mir gerade ziemlich deutlich gezeigt, dass sie ihre Ruhe will, also halt ich mich auch daran“.

„Moment mal…“, riss Detlef die Augen auf und schaute abwechselnd zwischen Hellen und Steffen hin und her, während sein Kumpel langsam in den nächsten Gang einbog.

„Die machte doch einen ganz netten Eindruck! Was ist denn passiert?“, konnte Hellen den Blonden noch hören, ehe auch er aus ihrem Sichtfeld verschwand und sie sich plötzlich furchtbar mies fühlte.

„Da sind wir, hast du schon was gefunden?“, kam Judith in diesem Moment von der anderen Seite mit Tilo an der Hand und legte einen Karton in den Einkaufswagen, der verdächtig nach billiger Autolampe aussah.

„Hellen?“, richtete sie abermals das Wort an ihre Schwester, als die nicht reagierte und nur langsam Judiths Blick suchte.

„Findest du, dass ich mich manchmal ungerecht verhalte? Vor allem… in letzter Zeit?“



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