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Die Ballade des Unbesungenen

von

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Sechste Strophe: Tag und Nacht

Von tiefen, unansehnlichen Kratern übersät, hing der Mond an genau derselben Position, die er schon seit Anbeginn der Welten am Himmel einnahm. Dabei wirkte er der Erde so ungeheuerlich nahe, als könne er jeden Moment auf sie herabstürzen. Selbst unter den Wolken gelegen, ließ er sich weder von ihnen, noch von wechselnden Phasen verdecken. Hätte er ein Gesicht gehabt, er hätte das Schauspiel, das sich ihm bot, mit sich nie veränderndem Starren beobachtet.

Das Krokodilsmonster öffnete weit das Maul, atmete tief ein, um das in seinem Inneren lodernde Feuer anzufachen. Kishin sah seine Chance gekommen, stach sein Schwert sogleich in den funkensprühenden Rachen, bevor die Kreatur ihre sogar für ihn schädlichen Flammen speien konnte. Sie stieß ein heiseres, fast überraschtes Kreischen aus. Sofort ging der gegnerische Gott auf Abstand, während das Monster sich in Todesqual krümmte – und schließlich in einer dumpfen Explosion aufging.

Erleichtert, dass der Kampf endlich vorbei war, setzte Kishin seinen Weg fort. Er hatte sich weit länger als nötig von dem Krokodilsmonster aufhalten lassen. Die am leichtesten zugängliche Schwachstelle dieser Monsterspezies war der Schwanz: In der Regel brauchte es nur einen gut gezielten Treffer, ihn abzutrennen und das Ungetüm sofort zu töten. Allerdings war die Klinge von Kishins Schwert kaum noch scharf genug, dem Schwanz zu schaden, geschweige denn dem steinharten Schädel. So war Kishin bei diesem Exemplar gezwungen gewesen, es durch die noch viel empfindlichere Innenseite aufzuspießen.

Obwohl seine Waffen immer aus bestem Goronenstahl geschmiedet waren, nutzten sie sich durch den intensiven Gebrauch dennoch sehr schnell ab. Sein Verschleiß an Schwertern war größer, als die Goronenschmiede neue anfertigen oder die alten auch nur nachschärfen konnten. Ungern mochte Kishin zu dem unbewaffneten, weit weniger effektiven Kampfstil zurückkommen, den er praktiziert hatte, bevor sein totaler Bruch mit Herale erfolgt war. Oft bereute er es, sein damaliges Schwert nicht bei seinem Abschied von Hylia dabeigehabt zu haben. Gewiss hätte sie es mit ihrer Musik ebenso unzerstörbar gemacht wie seine Rüstung, die seit dieser Nacht keinen Kratzer davongetragen hatte. Aber Hylia wusste nicht einmal davon, dass Kishin seinen Grundsatz hingeworfen hatte, und das auch noch mit einer Waffe, so mächtig und schwer, dass ein Mensch sie kaum mit zwei Händen führen konnte. Nie hatte jemand Kishin in ihrem Gebrauch unterwiesen; aber nach all diesen ungezählten Jahren war er zweifellos ein besserer Fechter als die größten Schwertmeister der Menschen. Er hatte reichlich Zeit gehabt, seine Techniken einzustudieren und zu perfektionieren.

Kishin kam vom Gebirge herab in die Hochebene Lumins. Hier hatten mittlerweile jene Flüsse, die er selbst lange vor der Entdeckung der anderen Welt freigelegt hatte, Schluchten in den Sandstein gegraben. In einer davon hatten die Goronen ihr Lager aufgeschlagen. Es lag noch genau da, wo Kishin es verlassen hatte: In nur für kurzfristig gedachte, in die Sandsteinwände gegrabene Wohnstätten, nicht sehr tief, da hier stets Einsturzgefahr bestand. Auf Kishins Anraten hin hielten immer ein paar Goronen von außen Wache – zum Einen für den Fall, dass ihre Stammesmitglieder in den Höhlen rascher Hilfe bedurften, wenn Felsbrocken beiseite geschafft werden mussten. Zum Anderen aber auch wegen der Gefahr, die von sich in den Schluchten tummelnden Monstern ausging.

Einer dieser Wachtposten entdeckte nun Kishin, der sich von Weitem näherte, und gab die Kunde seines Kommens rasch weiter. Bis der Gott das Lager erreicht hatte, waren bereits alle seine Bewohner vor den Höhlen versammelt. Anders als Menschen begegneten sie ihm nicht mit der geringsten buckelnden Ehrfurcht, aber dem größten goronischen Respekt: Sie behandelten ihn wie einen der Ihren. Aufgeregt, sich gegenseitig und zum Teil auch Kishin anrempelnd, umkreisten sie ihn, warfen Fragen durcheinander, die sich letztlich alle um dieselben drei hoffnungsvollen Themen rankten:

Hatte Kishin den Stählernen Albtraum besiegt?

Für gewöhnlich schreckte er davor zurück, seine ursprüngliche Macht über die Erde im Kampf zu gebrauchen. Im Eifer des Gefechts konnte er sich nicht recht darauf konzentrieren, wodurch sie mehr Schaden anrichtete als echten Nutzen erbrachte. Diesmal aber war er dazu gezwungen gewesen, um die schreckliche Schlacht gegen den Eisendämon nicht ins ganze Gebirge zu tragen. Jetzt lag das Ungetüm, das die Goronen voller Furcht den Stählernen Albtraum nannten, im höchsten Berg Lumins eingeschlossen, um den Kishin eine bodenlose Schlucht erschaffen hatte. Zwar war der Dämon damit vorerst bezwungen, aber nicht endgültig zerstört. Irgendwann musste Kishin wieder dorthin und dafür sorgen, dass der Stählerne Albtraum nie wieder erwachte.

Hatte sich der Schnee zur Winterspitze zurückgezogen?

Eine unwirtliche Kälte war der Grund gewesen, warum die Goronen vor etlichen Generationen ihre alten Höhlen auf der Suche nach einem neuen Zuhause verlassen hatten. Winterspitze war der Name für jenen höchsten Gipfel ihrer einstigen Heimatberge, dessen ewiger Winter sich durch den unheimlichen Einfluss des Eisendämons über die einst saftig grünen Gebirgswiesen ausgebreitet hatte. Nach ewig langer Zeit – in der sich Kishin eigentlich der Angelegenheit hätte annehmen sollen, sobald die ersten Wolken auf kalten Winden von der Winterspitze herabgezogen waren –, begann der Schnee nun endlich wieder zu tauen.

Konnten sie in die Berge zurückkehren?

Die auswandernden Goronen hatten, wie Kishin lange vor ihnen, das Portal nach Herale gefunden. In der anderen Welt hatten sie sich im vulkanischen Gebirge niedergelassen, das ihrer alten Heimat so ähnlich war, Freundschaft mit den Menschen geschlossen und sie ihre Handwerkskünste gelehrt. Nach so vielen Generationen hatten diese keinen Grund, in die Welt, aus der ihre frühesten Vorfahren stammten, zurückzukehren. Anders als jene, die immer in Lumin – R’mina in ihrem Sprachgebrauch – geblieben waren, jedoch nie einen Lebensraum gefunden hatten, an dem sie dauerhaft verweilen konnten. Die weiche, krümelige Lehmerde der Ebene eignete sich für sie genauso wenig wie der brüchige Sandstein der Schluchten, wo sie sich zurzeit aufhielten. Was sie brauchten, war der robuste Granit der Berge, in dem ihre eigenen Wohnhöhlen keine Gefahr für sie darstellten und dessen Steinbrocken für sie am nahrhaftesten waren.

Auf alle diese Fragen nickte Kishin stumm, aber vielsagend. Sofort warfen die Goronen um ihn die Hände in die Luft und führten jubelnd Freudentänze auf, die Lavaherzen glühend vor Euphorie. Die abgemagerten Vagabunden begannen, ihre Habseligkeiten einzusammeln, um so bald wie nur möglich aufzubrechen. Mit Gepäck kaum dazu in der Lage, sich auf die schnellste Goronenart, nämlich rollend, fortzubewegen, würde es eine lange, anstrengende Reise über die Ebene werden.

Inmitten all der Geschäftigkeit kam ein Gorone gezielt auf Kishin zu. Der Gott erkannte in ihm den Lehrling seines derzeitigen Waffenschmieds und verlangte sogleich von ihm, seinen Meister zu sprechen.

„Tut mir sehr leid“, meinte der Lehrling daraufhin unbehaglich. „Der ist leider gestorben …“

Kishins regloser Miene war sein tiefer Schock über diese Nachricht nicht anzusehen. „Wirklich?“

Der Gorone nickte und grunzte traurig. „Er war ja schon altes Urgestein. Leider konnte er mir nicht mehr alles beibringen, was er wusste, aber ich werde mir natürlich auch viel Mühe geben. Kann ich dir irgendwie helfen?“

So bedauerlich der Verlust des Schmiedes war, der zu den besten seiner Zunft gehört hatte, musste Kishin wohl oder übel mit dessen Schüler vorlieb nehmen. Er reichte ihm sein Schwert. „Kannst du dafür sorgen, dass ich es wieder benutzen kann?“

Der Lehrling, der viel zu früh den Status des einzigen Meisters eingenommen hatte, nahm die Waffe entgegen. Er grummelte nachdenklich etwas Unverständliches, betrachtete sie fachkundig. Mit einem Finger testete er die nicht mehr vorhandene Schärfe der Schneiden, roch prüfend an der Klinge. „Zuletzt hat es einen Dodongo erwischt“, stelle er fest und gab Kishin zumindest ein wenig Vertrauen in seine im Vergleich zu denen seines Meisters unausgereiften Kenntnisse. „Ich werd‘ sehn, was ich machen kann“, versprach der Goronenschmied. „Und da gibt’s noch etwas, das ich dir von meinem Meister geben soll.“ Er trottete zu einer Kiste, legte Kishins Schwert daneben und wühlte darin in einer scheppernden Unordnung aus Werkzeugen und verschiedenen Schmiedearbeiten. „Er hat noch vor seinem Tod Goldstaub darin eingearbeitet“, rief der Lehrling über das Geklapper hinweg. „Von dem, den er geerbt hat. Der übrig geblieben ist, als der legendäre Schmied damals den Goldbogen gemacht hat. Aber das muss ich dir ja nicht mehr erzählen, warst da doch dabei.“

Anscheinend hatte er endlich gefunden, was er gesucht hatte, und brachte Kishin ein neues Schwert. Anders als alle vorigen war die Klinge leicht gelblich gefärbt. Kishin spürte feinste Goldpartikel, die in dem veredelten Eisen so dicht gestreut waren wie Sterne am Nachthimmel zu Neumond, wie es ihn in Lumin nie gab. Entlang des Mittelgrats verlief ein Streifen puren Goldes und ging an der Spitze in Schneiden über, ebenfalls aus dem edlen Metall verhüttet. „Ist Gold dafür nicht viel zu weich?“, fragte Kishin skeptisch, während er das Schwert einmal aus dem Handgelenk in einem blitzenden Kreis herumwirbelte – ein Trick, der ihm nur möglich war, seitdem er die Fingerlinge seiner Panzerhandschuhe hatte entfernen lassen. Seine bloße Haut hatte einen weit besseren Halt am Heft als blanker Stahl, was ihm auch in Kämpfen zugute kam.

Der Meisterlehrling erklärte: „Mein Meister hat herausgefunden, dass es, wenn man es mit den richtigen Mitteln behandelt, noch robuster als Stahl ist. Deswegen kann man es schon mal viel schärfer schleifen. Und weil im Stahl auch nochmal Gold ist, hält das Schwert länger. Die Technik ist leider nicht ganz leicht, aber ich hoffe, ich finde sie raus, damit ich dir auch so ein Schwert machen kann. Der Goldstaub reicht zumindest noch für eins. Aber es ist auch schon in Ordnung, wenn ich genug Zeit habe, dein anderes zu schärfen, bevor du es wieder brauchst.“

Probeweise führte Kishin ein paar Testschläge gegen einen unsichtbaren Gegner. Wie nicht anders zu erwarten, war die Waffe hervorragend ausbalanciert, zerteilte die Luft auf Ebene der kleinsten Elementarbausteine. Wie ihre Vorgängerinnen hatte auch diese Klinge einen magnetischen Kern, der es ihrem Besitzer ermöglichte, sie am Rückenharnisch anzubringen. So konnte er sie bei sich tragen, ohne sie ständig in Händen zu halten.

Viel lieber wäre es Kishin, wenn sich der Schmied darauf konzentrierte, ihm weiter neue Schwerter zu liefern, und zwar ohne Goldstaub. Auch nur eines zu schmieden dauerte Jahre, auch wenn nicht mit unbekannten Legierungen experimentiert wurde. Aber wahrscheinlich brauchte sich der Gott ohnehin keine Hoffnungen auf gute Qualität zu machen, jetzt, da der alte Meister verstorben war.

Als Kishin die Goronen, die damit beschäftigt waren, sich auf die große Abreise vorzubereiten, verließ, setzte Lumins fast alltäglicher Regen ein. Zumindest goss es nicht mehr ununterbrochen; seit Kishin sich als Schutzgott seiner Welt widmete, hatte sich das Wetter allgemein verbessert. Insbesondere im Gebirge, in das jetzt wieder der Frühling zurückkehrte. Auch die Gewässer waren nicht mehr lebensgefährlich: Die einst vergifteten Sümpfe waren wieder rein, die vorher zu hohe Wassertemperatur des Meeres wieder normal. Gebiet für Gebiet erholte sich Lumin. Kishin hatte lange gebraucht, sein noch längeres Fehlen wiedergutzumachen, und noch war er auch nicht fertig. Wahrscheinlich würde er das nie sein, aber es war das einzig Richtige, danach zu streben.

Auf der Ebene, die sich als gigantische Landschaft bis an die angrenzenden Gegenden erstreckte, erreichte Kishin einen Wald. Dieser hatte nur einen Bruchteil der Ausdehnung des Urwaldes von Herale, stammte aber von ihm ab: Hylia hatte Setzlinge von dort mitgebracht, auf dass es auch in Kishins Welt die von ihm so bewunderten Bäume gab. Auch wenn die Göttin nach der Entdeckung der Menschen nicht mehr in Lumin gewesen war, hatte sie hier doch ihre Spuren hinterlassen. Aus den paar Schösslingen war mittlerweile ein stattlicher kleiner Wald geworden.

Gemächlich schlenderte Kishin unter den ausladenden Ästen hindurch, spürte das Leben, das auf denselben Wegen durch sie floss wie auch in Herale. Unmittelbar unter diesen Flüssen lagen mehrere Schichten Holz – selbst Bäume maßen ihr Leben, das so viel länger dauern konnte als das aller anderen Lebewesen, in Jahren. Auch wenn es für Kishin vorher nie von Bedeutung gewesen war, hätte er jetzt doch ganz gerne gewusst, wie viele Jahre er selbst bereits auf Erden wandelte. Aber das würde er wohl nie erfahren.

Der regennasse Wind rauschte durch die Kronen. Zwischen den dunkelgrünen Blättern sah Kishin ein bläuliches Aufblitzen, das bei diesem Wetter wohl kaum der Himmel sein konnte. Tanzend trieb das filigrane Gebilde auf ihn zu, und er fing es mit der hohlen Hand. Was er von Weitem schon erkannt hatte, bestätigte sich nun aus der Nähe: Eine Kristallfeder. Das verwunderte Kishin, war Hylia mit Flügeln doch nie in Lumin gewesen. Aus Herale konnte sie auch nicht herbeigeweht worden sein, als das Portal noch offen gewesen war: Ihr reines Azurblau zeigte einen zu starken Violettstich, den Hylias Federn nicht gehabt hatten, bevor Kishin den Durchgang geschlossen hatte. Das konnte nur ein neuer Typ sein, nicht wie früher nur vom Himmelblau erfüllt, sondern auch noch von etwas anderem. Kishin konnte sich gut vorstellen, dass Hylia noch das Morgen- und Abendrot hinzugefügt hatte, um das Wirkspektrum ihrer Schwebesteine zu erweitern. Das jedenfalls würde sehr zu ihr passen.

Kishin hatte nicht fest zugepackt, dennoch war die Kristallfeder in der Mitte geknickt. Darüber grübelnd merkte er gar nicht, wohin ihn seine Schritte führten. Obwohl er stets zu vermeiden versucht hatte, je wieder in die Nähe des Portals zu gehen, fand er sich unbewusst vor jenem Erdloch wieder.

Als er das letzte Mal von Herale nach Lumin gekommen war, hatte er es mit Schutt verschlossen, um sich selbst daran zu hindern, es wieder zu durchschreiten. Auf den Felsbrocken wuchsen keine Pflanzen, nicht einmal einfache Flechten, als wollten sie das Portal nicht endgültig versiegeln. Auf der es umgebenden Wiese lagen noch mehr Kristallfedern verstreut. Irgendwie mussten sie also durch die Versperrung gelangt sein. Sie alle hatten wie auch die erste einen starken Stich ins Violett – und jede an derselben Stelle einen Knick. Das musste also eine Bedeutung haben. Aber Kishin wollte nicht weiter darüber nachdenken, durfte er ohnehin nicht zurück. Er gab die gefundene Feder zu ihren Schwestern am Portal und wandte sich ab, um zu gehen.

Da drehte der Wind, ließ die Regentropfen in seinen Rücken auf Rüstung und Schwert prasseln. Die Federn wurden aufgescheucht wie ein Schwarm Stare, flogen seitlich an Kishin vorbei, drehten vor ihm eine Kurve, kehrten zerfallend wieder um und hüllten Kishin in glitzernden Staub. Der Gott hielt inne, als er plötzlich etwas wahrnahm. Es war wie ein wortloser Ruf, zu schwach für ein Geräusch, eigentlich nicht viel mehr als ein Gedanke.

Kishin schüttelte den Kopf. Sein Verstand sagte ihm, es sei nur Wunschdenken, dass Hylia über die Grenzen ihrer Welten einen Weg gefunden hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Aber die Dringlichkeit, die Verzweiflung in der Botschaft der Federn glaubte er indes nicht, sich nur eingebildet zu haben.

Hylia rief ihn um Hilfe.

Kishin warf alles Zaudern nieder. Es bedurfte nur eines machtvollen Blickes, und die Felsen im Portal wichen zurück, türmten sich um das Loch auf, als der Schutzherr Lumins es ihnen befahl.
 

Als Kishin in Herale ankam, hätte ihn das, was ihn erwartete, fast wieder buchstäblich zurückgedrängt. Das überwältigende Gefühl allgegenwärtigen Todes flutete seinen Übersinn. So sehr wurde er von dieser einen Empfindung eingenommen, dass er die für Herale untypische Wolkendecke, die das Sonnenlicht versilberte, nur am Rande bemerkte. Statt sich damit zu beschäftigen, folgte er der Spur des Leides, um dessen Ursache zu finden.

Wo er vorbeikam, brannte bereits der Wald, und seine tierischen Bewohner flohen in Todesangst. Dörfer lagen auf seinem Weg, aber die Häuser waren zerstört, ja dem Erdboden gleichgemacht. Auf den Feldern, wo eigentlich Menschen und ihre Nutztiere in friedlicher Eintracht arbeiten sollten, verheerten Kämpfe das Land, den Himmel, ja selbst Gänge und Höhlen unter der Erde. Die Ebene Herales wimmelte nur so vor Monstern und Dämonen, die Heerscharen von Kreaturen dieser Welt gegenüberstanden. Von diesen Wesen des Guten kannte Kishin allein die sonst so friedlichen Goronen, und Menschen waren nicht unter ihnen.

Die Kämpfer der beiden Seiten waren in Gestalt und Form so mannigfaltig, dass Kishin nicht zu unterscheiden vermochte, wer für das Licht und wer für die Dunkelheit focht. Deswegen schloss er, um Freund und Feind auseinanderhalten zu können, die Augen, als er sich ohne Zögern dazu entschloss, sich an dieser Schlacht zu beteiligen, und zwang sein neues Schwert dazu, sich bereits zu beweisen. Ganz auf die Wahrnehmung seines Übersinns konzentriert, wütete er vernichtend unter seinen Widersachern. Mit der einen Hand führte er das Schwert, sie gezielt zu zerteilen; mit der freien zerschmetterte er sie ganz wie in alten Zeiten. Die Streiter Herales fürchteten zunächst, der mächtige Krieger in ihrer Mitte gehöre zu ihren Gegnern. Aber als sie erkannten, dass er selbst mit geschlossenen Augen in kurzer Zeit mehr von diesen erschlug als jeder von ihnen, hielten sie ehrfürchtigen Abstand vor ihm. Die grimmige Gottheit war endlich nach Herale zurückgekehrt.

In der Luft trieben zwei Drachen – der eine indigoblau, der andere sandsteinbraun – einen Schwarm fliegender Monster zu einer düsteren Wolke zusammen, hüllten sie in ein Kraftfeld aus Luftfeuchtigkeit und elektrischer Ladung. Ein dritter, rostroter Drache war bei ihnen, der nun die Hände vorhob, aus denen ein vernichtender Flammenstrahl schoss und das gegnerische Flugbataillon verschlang. Brennende Klumpen fielen aus dem kreischenden Feuerball, gingen aber über einer Stelle des Schlachtfeldes nieder, wo die Kämpfer Herales nicht von ihnen getroffen werden konnten. Doch ein weiteres Flugwesen gewaltiger Größe, ein riesiger, schwebender Wal, rammte den viel kleineren roten Feuerdrachen und stieß ihn zur Seite.

Dessen Flammenstrahl wurde von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt und rauschte nun über Kishin und seine Umgebung hinweg. Anders als das Dodongo-Feuer schadete dieses dem Gott nicht – aber um ihn herum starben sowohl Feinde als auch Verbündete. Letztere litten solch schreckliche Höllenqualen, dass es Kishin war, als zerrissen sie ihn von innen. Einzig die Goronen und einzelne feuerfeste Monster überstanden das Inferno, das selbst den Boden aufschmolz. Die Hitze zog in das Goldschwert ein und regte es zu karneolfarbenem Glühen an.

Endlich brach der Feuerdrache seinen fehlgeleiteten Angriff ab, war nun aber damit beschäftigt, dem Windwal auszuweichen, der ihn aus dem Himmel zu holen drohte. Auch der blaue und der braune Drache hatten Schwierigkeiten, sich des viel massigeren Leibes zu erwehren. Kishin mühte sich ab, sich von dem qualvollen Sterben um sich herum zu lösen. Als er sich wieder so weit gefangen hatte, wandte er all seine Sprungkraft auf, die ihm die drei Schwebesteine verliehen, sich zu dem feindlich gesinnten Wal zu katapultieren. Hoch sprang er über das Ungetüm hinauf, um es anschließend herabstoßend mit dem Schwert aufzuspießen. Doch noch während Kishin für den Bruchteil eines Augenblicks im Zenit seines Flugs in der Schwerelosigkeit hing, erkannte er seinen Irrtum: Der Wal war gar kein Dämon!

Die dunkle Aura, die seine natürliche fast unkenntlich machte, gehörte zu einem Parasiten, der von ihm Besitz ergriffen hatte und ihn nun gegen seine eigenen Verbündeten steuerte. Überall an seinem riesenhaften Körper ragten mit rotem Chitin gepanzerte Tentakel heraus, je ein einzelnes Auge an ihren Enden. Kishin kam auf dem Wal auf, ohne dessen raue Haut zu verletzen, und machte sich sofort an die Arbeit, stattdessen die Tentakel abzutrennen. Die abgekappten Teile lösten sich sogleich in Monsterasche auf. Die übrig bleibenden Stummel wurden von Kishins glühheißer Klinge zum Teil kauterisiert, dennoch strömte grünes, schleimiges Blut aus ihnen hervor, das bei Kontakt mit Kishins Haut schmerzhaft darauf brannte. Rauchkringel hinterlassend, zogen sie sich ins Innere des Wales zurück, und genau da wollte der Gott sie haben.

Den letzten Tentakel im Blasloch des Wals verschonte er, klemmte das magnetische Schwert an den Stahl auf seinem Rücken, um beide Hände freizuhaben. Die verkrüppelte Kreatur stieß ein ekelerregendes Kreischen aus, als der Gott sie an ihrer verbliebenen Gliedmaße aus dem Wal herauszerrte und auf dessen Kopfplatte schmetterte. Sofort zückte Kishin wieder das abgekühlte Schwert und spießte es ohne Widerstand bis zum Heft in den chitinverkleideten, klumpigen Körper des Wesens – und tötete es derart.

Befreit vom fremden Einfluss wurde der Windwal wieder Herr seiner selbst. Der Grund unter Kishins Füßen, der auf der knöchernen Kopfplatte stand, vibrierte unter klarem, dröhnendem Gesang. Die drei Drachen umkreisten ihren wiedergewonnenen Verbündeten, bevor sie sich erneut der Schlacht widmeten, die unvermindert weitertobte.

„Der große Himmelsgeist und die drei Drachen des Erdlandes bedanken sich.“

Kishin schaute sich überrascht um, als er Impas Stimme wie gewohnt plötzlich hinter sich vernahm. Selbst das Mädchen, das so langsam alterte, war mittlerweile zu einer großen, schlanken jungen Frau herangewachsen. Ihr Markenzeichen, die zu einem einzelnen Zopf gebundene Strähne, hing neben ihrem schmalen, charismatischen Gesicht herab bis zum Bauch. Sie zeigte an, wie schrecklich viel Zeit vergangen war, seit Kishin das letzte Mal in Herale gewesen war. Die Shiekah trug einen tiefgrauen, ärmellosen Hosenanzug, auf dem ein goldenes Augensymbol prangte. Ein ähnliches, jedoch in roter Farbe, war auf ihre Stirn gemalt.

„Wie bist du hierher gekommen?“, fragte er überflüssigerweise und sah sich nach unten um. Er war, während er das Tentakelmonster geschlachtet hatte, ganz sicher allein auf dem Wal gewesen. Dieser flog jetzt noch höher als zuvor, sodass es nicht einmal Kishin geschafft hätte, ihn mit einem Sprung zu erreichen.

Impa lächelte geheimnisvoll. „Ich kenne einige Wege …“ Schnell wurde sie wieder ernst. „Ich habe schon lange versucht, den Windfisch zu befreien; danke, dass Ihr dies übernommen habt.“ Kishin nickte langsam. Die Shiekah schien sich überhaupt nicht zu wundern, ihn wieder in dieser Welt zu sehen. „Er hat sich diesen Parasiten eingefangen, als er ins Meer tauchte …“ Sie trat an den Rand der Kopfplatte und deutete nach unten, und Kishins Blick folgte ihrem Fingerzeig. Dort rückte der Ozean, den er und Hylia einst zusammen entdeckt und erkundet hatten, immer weiter unter den Windwal. Von so weit oben sah die schimmernde Oberfläche, in der sich der grelle Wüstenhimmel spiegelte, noch eindrucksvoller aus. Noch war Kishin gar nicht aufgefallen, dass die Schlacht ihn über die Ebene bis hierher geführt hatte. Wie lange beteiligte er sich überhaupt schon daran?

„Unsere Gegner halten das Meer besetzt“, berichtete Impa weiter, „und nutzen seine Kraft für sich.“ Fliegende Monster sammelten die Skelette ihrer Mitstreiter vom Schlachtfeld im Küstengebiet, trugen sie darüber hinweg zum Meer und überantworteten sie seinen sanften Wellen. An anderer Stelle entstiegen dem aufgewühlten, trüben Wasser dutzende von Monstern. Durch die Wirkung des Gewässers wiederhergestellt, Dinge in ihren Urzustand zurückzuversetzen, konnten sie die Kämpfe erfrischt fortführen, während die Krieger Herales an Zahl immer weiter schrumpften.

Kishin fühlte Wut in sich aufsteigen, dass das Meer, an dem er und Hylia so geliebte Erinnerungen gesammelt hatten, dafür missbraucht wurde, die Bemühungen der Kämpfer für das Gute zunichte zu machen. Er hörte nicht weiter auf Impas militärische Ausführungen zu ihrem Plan, die Herrschaft über die See wiederzugewinnen, und sprang vom Wal. Wie ein Komet fiel er aus dem Himmel herab, rammte die nach unten gerichtete Schwertspitze in das verschmutzte Gewässer.

Die Wucht des Einschlags und Kishins von seiner Raserei verstärkte Macht über die Erde erschütterten des Meeres Boden und die Küsten. Von wo der Gott aufgekommen war, breitete sich nun eine Flutwelle aus, die das umliegende Land überrollte. Sedimentschichten bewegten sich reibend gegeneinander und zermalmten alles, was sich in ihnen befand. Viele Kämpfer beider Seiten, egal ob über oder unter der Erde, fanden in den Naturgewalten ihren Tod, doch für die Monster blieb das nicht lange so: Das Wasser belebte sie alsbald wieder. Seine Kraft war nicht aufgehoben, solange ihre Quelle in der Gewalt der Feinde war.

Kishin und Hylia hatten seinerzeit herausgefunden, dass diese Quelle ein riesiger, azurblau glühender Kristall im tiefsten Punkt des Ozeans war. Nun war der Monolith vollständig eingehüllt von schwarzen Schleimmonstern, die seine Kraft allein für ihre Verbündeten filterten. Da das Wasser fort war und plötzlich Licht auf den zuvor stockfinsteren Seegrund fiel, waren sie zu einer Schicht granitharten Steins erstarrt. Kishin tat einen gewaltigen Satz, holte hoch mit dem Goldschwert aus und zerschlug den Kristall der Länge nach. Die tief indigoblauen Bruchstücke, in denen das einstige unirdische Leuchten verloschen war, verteilten sich in alle Himmelsrichtungen über das geschwundene Meer. Mit grimmiger Zufriedenheit, weil er in näherer Umgebung alle Dämonenauren eliminiert hatte, hakte Kishin das im Moment unnütze Schwert wieder am Rücken ein.

Dann verharrte er.

Das Wasser, von seinem Einschlag verdrängt, schwemmte nicht mehr zurück. Im ganzen gepeinigten Meeresboden hatten sich Spalten aufgetan, groß wie Schluchten, die das gierig verschlangen, was die Flutwelle an Meerwasser zurückgelassen hatte. Brüllend stürzten die Wassermassen in dunkle, unterirdische Tiefen und rissen alles mit sich, das sich ihrer Macht nicht erwehren konnte. Nur ein paar trübe Tümpel in abgeschiedenen Gruben zeugten noch von der einstigen Ausdehnung des Ozeans. Die Luft vibrierte von den Qualen in diesen viel zu flachen Pfützen sterbender Riffbewohner und im gleißenden Sonnenlicht trocknender Korallentierchen.

Mit Entsetzen erkannte Kishin allmählich, was er wirklich getan hatte: In seinem Bestreben, die Dämonen daran zu hindern, das Meer und seine wunderbare Kraft zu missbrauchen, hatte er ein ganzes Ökosystem vom Antlitz der Erde getilgt. Nicht nur das, hatte er auch noch im nächsten unbedachten Augenblick mit der Zerstörung des Kristalls dem Land die Grundlage genommen, sich je wieder zu regenerieren. Er hatte das Meer endgültig dazu verdammt, ein Teil der es umgebenden Wüste zu werden. Welch Ironie.

Aber was ihn am meisten schockierte, war, dass ihn der Tod der Meerestiere nicht heimsuchte. Er spürte ihn überall, so wie er die Qualen von Lebewesen immer schon gespürt hatte; aber anders als sonst hatte er nicht das Gefühl, davon gleichzeitig von außen zerdrückt wie von innen zerfetzt zu werden. Als sei dieses Schwert, das der Tod einer einzelnen Kuh geschmiedet hatte und bislang eine von Kishins wenigen Schwächen gewesen war, im Verlaufe der letzten Kämpfe abgestumpft.

Voll Reue ließ Kishin sich auf ein Knie nieder, grub die Hände in den schlammigen Sand, der in der sengenden Sonne bereits trocken und rissig zu werden begann. Die älteste seiner Fähigkeiten anrufend, gebot er der Erde, die Spalten, durch die das Meer für immer zu entschwinden drohte, zu verschließen. Doch nur das Sediment in seiner unmittelbaren Nähe reagierte auf seinen geistigen Befehl. Die zerstörerische Macht, die ihm seine impulsive Wut verliehen hatte, war mit dieser vollständig verraucht. Er war nur eine niedere Schutzgottheit. Sein göttlicher Zorn konnte nichts retten; er diente einzig und allein der totalen Vernichtung, ohne Rücksicht auf Verluste auf der Seite, die er eigentlich schützen sollte.

Nachdem er einen schmerzlich geringen Anteil der Spalten geschlossen hatte, gab Kishin dieses Unterfangen auf. Viel zu lange dauerte es, und bis er damit fertig wäre, gäbe es weit und breit kein Wasser mehr, das abzufließen es zu verhindern galt. So ließ er davon ab und ging seinen Weg der Schande durch das von ihm geschaffene Ödland aus verhärtendem Sand, hochkonzentrierten Salzwasserpfützen und den Splittern des Kristalls, der hier einmal alles Leben erhalten hatte und nun verloren war. Von Ferne sah er die einstige Küste, die nun, ebenfalls von der Flut aufgeweicht, in der Sonne buk. Dort hatten sich jene, die die Naturkatastrophe überlebt hatten, wieder den nie endenden Kämpfen gewidmet.

Kishin wurde Impas gewahr, die lautlos wie ein Schatten neben ihm herging. Träge wandte er ihr seine Aufmerksamkeit zu. „Ich habe Hylias geliebtes Meer ausgelöscht“, sprach er das Offensichtliche aus.

„Mag sein“, meinte Impa, deren Blick auf das Getümmel an der Küste gerichtet war. „Aber so haben die Monster zumindest keine Möglichkeit mehr, stetig neu zu erstehen.“

„Aber da waren so viele von Herales Kämpfern, die ich getötet habe“, widersprach Kishin bitter. Wie sollte Hylia ihm das je verzeihen?

Wieder war es Impa, die ihn an eine mehr militärische Sichtweise an die Angelegenheit heranführte: „Mit ihnen habt Ihr auch etliche Monster ertränkt, und diejenigen, die in dem Wasser schon einmal aufgelebt sind, zerfallen jetzt, da seine Kraft verschwunden ist. Der wenigen Dämonen, die geblieben sind, können wir nun sehr leicht habhaft werden. Eure Tat hat das Kampfgeschick zumindest für diesen Teil Herales zu unseren Gunsten gewendet.“

Gott und Shiekah blieben stehen, und nun nahe genug heran konnte Kishin spüren, wie die Auren der Leere, die er so hasste, immer weiter dezimiert wurden. Das beruhigte ihn zwar und ließ ihn weniger an Impas aufbauenden Worten zweifeln als zuvor, doch blieb das Gefühl tiefster Reue. Das hätte so nicht kommen müssen. „Was ist überhaupt los?“, fragte er schließlich und verdrängte diese Gedanken. „Warum herrscht in ganz Herale Krieg?“

„Es ist viel passiert, seit Ihr das letzte Mal hiergewesen seid“, antwortete Impa kryptisch.

„Erzähl mir alles!“, forderte Kishin.

„Gewiss.“ Die junge Frau verneigte sich knapp. „Kurz, nachdem Ihr gegangen seid, gab es erst verminderte, dann keine Angriffe mehr seitens der Monster.“ Das war etwas, womit Kishin durchaus gerechnet hatte. Immerhin war er gerade zu diesem Zweck nicht mehr wiedergekehrt. „Aber der Frieden währte nicht lange“, fuhr Impa jedoch fort. „Die Menschen selbst waren es, unter denen die Konflikte ausbrachen. Ohne einen gemeinsamen Feind, wie es schien, bekriegten sie nun einander. Der Auslöser war die Eifersucht der ursprünglichen Menschenrasse gegen die Hylianer, doch haben beide Seiten gleichermaßen Verbrechen gegen die andere begangen.“

Verärgert senkte Kishin den Blick. Genau das hatte er doch immer schon befürchtet!

„Gegen die Gnädige wurde ein so schrecklicher Verrat verübt, dass ich mir geschworen habe, ihn immer im Gedächtnis dieser Welt zu bewahren.“ Impa tippte mit dem Finger an das Tropfensymbol, das sie sich mit weißer Farbe unter ein Auge gemalt hatte. Anscheinend stand dieses Zeichen für die Trauer über jenen Verrat. „Um die Unschuldigen zu schützen, verbannte die Gnädige alle, die den Streit beizulegen nicht gewillt waren, ohne in ihrer Rasse zu unterscheiden, in die Randgebiete des Landes. Aber in ihrer Güte hat sie sich ihnen auch weiterhin gewidmet, um einen Krieg innerhalb der Menschheit zu vermeiden.

Dann kamen die Monster wieder“, fuhr Impa fort, ihre Stimme wurde dunkel vor bitterer Erinnerung, „mehr und stärkere als jemals zuvor. Mit den Randgebieten beginnend, zerstörten sie ein Dorf nach dem anderen und töteten die Einwohner. Die Menschen konnten sich selbst der Angreifer nicht erwehren, und die Gnädige vermochte den Genozid nicht aufzuhalten. Zum Glück schaffte sie es noch zu dieser Zeit, Herale auf die Ankunft ihres Helden vorzubereiten, sonst wäre diese Sache niemals abgeschlossen worden. Bis zum Schluss hoffte sie, der Auserwählte möge in Erscheinung treten, aber keiner war des Sternenschwertes würdig.“

Kishins Blick wanderte über die Einöde, ohne Bilder aufzunehmen, während er diesen Worten lauschte.

Impa sprach weiter: „Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als die alten Inseln der ersten Stadt zu reaktivieren. Die Goronen halfen ihr, die Inseln mitsamt der Statue und eines Teils des Tempels auszugraben und mit den letzten Überlebenden Menschen – ausschließlich Hylianer – mithilfe so vieler Himmelsteine wie möglich hoch über die Wolken zu versetzen.“

Mit der flüchtigen Idee, die Inseln dort schweben zu sehen, sah Kishin auf in den Himmel, der sich in Richtung Urwald über das Land wölbte. Die Wolkendecke, von der Impa sprach, war sogar von hier aus zu sehen. Wie weit oben die erste Stadt also fliegen musste, um auch noch darüber zu liegen, entzog sich Kishins Vorstellungskraft.

Ihren Bericht schloss die Shiekah mit den Worten: „Vieles ist geschehen, das die Gnädige sehr unglücklich gemacht hat.“

„Ihr hättet früher nach mir rufen sollen.“ Was Kishin sagte, sollte kein Vorwurf sein. Aber auch wenn er es gewesen war, der das Portal überhaupt erst versiegelt hatte, so hatte Hylia doch eine Möglichkeit gefunden, dies zu umgehen. Warum also nicht schon eher?

„Ich habe der Gnädigen oft angeboten, Euch holen zu gehen“, erklärte Impa. „Aber sie lehnte stets ab. Eure Entscheidung respektierte sie einfach zu sehr, und ich die ihre – so schwer es auch uns beiden fiel. Unlängst erst hat sie mir anvertraut, warum sie den Kontakt zu Euch abgebrochen hat. Sie sagte, sie habe erfahren, Ihr seid es, denen die Dämonen ohne Euer Wissen nach Herale folgen.“

„Was?!“, entfuhr es Kishin vor Entsetzen.

Dieses verstand Impa falsch: „Sie war sich immer sicher, dass Ihr nicht davon wusstet, und sie wollte es Euch auch nie verraten.“

Das musste bedeuten, dass Hylia es vor ihm gewusst hatte – und damit auch, lange bevor er Herale verlassen hatte. „Wann hat sie das erfahren?“, wollte er jedoch genauer wissen.

„Ich weiß es nicht, aber sicher war es noch vor meiner Geburt.“

Diese Worte nahm Kishin fassungslos in sein Bewusstsein auf. Impa hatte schon gelebt, als der graue Echsendämon dem Gott die Wahrheit über die Herkunft der Invasoren verraten hatte. Ob Hylia es sogar von demselben Dämon erfahren hatte?

Obwohl er glaubte, die Antwort darauf bereits zu wissen, fragte Kishin: „Warum hat sie mir nicht schon früher gesagt, dass sie genau weiß, woher die Dämonen kommen?“

„Sie hat diesem Wissen nie Glauben geschenkt“, stellte Impa klar. „Weil sie die Bande zu Euch nicht kappen wollte. Sie brauchte Euch.“

„Hylia hätte meine Hilfe gar nicht erst benötigt, wenn sie mich gleich weggeschickt hätte!“ Dennoch war Kishin insgeheim froh, dass sie es doch nicht getan hatte. Ihn beschlich der Gedanke, dass die Göttin der Menschen ihren Schützlingen aus diesem Grund Waffen in die Hand gegeben hatte. Weil sie gewollt hatte, dass Kishin sich weniger für sie hatte einsetzen müssen, aber weiterhin nach Herale hatte kommen können.

„Ihr habt mich nicht verstanden“, behauptete Impa unumwunden. „Die Gnädige brauchte Euch. Nicht nur in den schwierigsten, sondern zu allen Zeiten. Es hat ihr das Herz gebrochen, als Ihr nicht mehr da wart.“

Kishin kniff die Augen zu, aber konnte der Tatsache nicht entkommen, Hylia im Stich gelassen zu haben. „Wo ist sie?“ Wenn sie in der Nähe des großen Schlachtfeldes wäre, hätte er sie sicher schon gesehen oder gespürt. Mindestens Hylia selbst hätte ihn bemerkt haben und zu ihm und ihrer Dienerin gestoßen sein müssen.

Die Shiekah zog die hellen Augenbrauen zusammen. „Der Heerführer der Monster ist ein mächtiger Dämonenkönig, den zu töten sie keine Aussicht auf Erfolg hatte. Daher hat sie ihm im Wald eine Falle gestellt, um ihn zu bannen, auf dass sich ihr auserwählter Held eines Tages seiner annimmt.“

„Weißt du, ob ihr das gelungen ist?“

Impas sonst so unerschütterlicher Blick verdunkelte sich mit Gram, als sie antwortete: „Da die Kämpfe bislang unverändert geblieben sind … Ich fürchte nicht.“

Das war Kishin genug. Er wandte sich ab, um sofort loszulaufen, als Impa ihn noch ein Mal zurückrief: „Eine letzte Sache noch. Die Gnädige hat dem Sternenschwert einen Geist eingesetzt, der den Helden an ihrer Statt zu seiner Bestimmung führen soll.“

Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, nickte Kishin knapp. Eine solche Vorkehrung traf Hylia nicht leichtfertig.
 

Auf seinem Weg zurück in den Wald ließ sich Kishin von nichts und niemandem mehr aufhalten. Begegnete er unterwegs einzelnen, versprengten Monstern, fegte er sie im Lauf und ohne rechte Notiz von ihnen zu nehmen beiseite. Auch verdrängte er den Gedanken, was wohl geschehen war oder noch geschehen mochte dafür, dass der fremde Gott sich so massiv an diesem Krieg beteiligte. Dafür beschäftigte er sich mit der Frage, warum er Hylia nicht schon zuvor im Wald begegnet war, bevor ihn die Kämpfe bis ans andere Ende Herales fortgeführt hatten.

Mit der pessimistischen Erwartung, sie jetzt, wenn nicht schon zuvor, auch nicht mehr zu finden, gab sich Kishin aber nicht ab. Sein Übersinn war hellwach und zum Zerreißen in alle Richtungen ausgestreckt; das Goronenschwert hielt er schlagbereit in der Hand für den Fall, dass er doch überraschend auf Hylia stieß und sie augenblicklich in ihrem Kampf gegen den Dämonenkönig unterstützen musste.

Bis der Gott den Wald erreichte, war es Nacht geworden. Da er nicht wusste, wo er nachsehen sollte, suchte Kishin zunächst den Ort auf, den er und Hylia einst als ihren Treffpunkt auserkoren hatten: Die erste Stadt der Menschen – oder zumindest das, was davon übrig geblieben war. Wo ihre Bewohner lachen, streiten und Bäume fällen sollten, bot sich ihm ein ganz ähnliches Bild wie bei allen anderen Siedlungen in ganz Herale: Nichts als verfallende Ruinen und von Grassoden wiedereroberte Gräben. Die stumme, steinerne Majestät der Göttinstatue, die auf ihrer schwebenden Insel weithin sichtbar gewesen war, fehlte völlig. Der Nachthimmel über dem Wald war leer – selbst die Gestirne waren hinter der Wolkenbarriere verborgen.

Kishin wusste genau, warum noch kein Mensch es geschafft hatte, das Sternenschwert unter dem Abbild der Göttin zu ziehen. Es lag nicht an den Sterblichen, dass sie Hylias zweifellos großzügig bemessene Anforderungen nicht erfüllten. Es konnten einer oder auch Tausende würdig sein; ja selbst wenn alle Menschen der Auserwählung zum Helden gerecht würden, konnte keiner von ihnen zum Beweis das Sternenschwert ziehen.

Und daran war allein Kishin schuld.

Seine negativen Gedanken gegen die Menschheit, als er das Schwert in den Sockel gesteckt hatte, mussten auch auf die heilige Waffe übergegangen sein, sodass sie nie einen von ihnen als ihren Gebieter anerkennen würde. Kishin hatte einen schrecklichen Fehler begangen, als er nach seiner Rückkehr nach Herale nicht sogleich nach Hylia gesucht und ihr beigestanden hatte; sein noch viel größerer Fehler war es, sie damals überhaupt im Stich gelassen zu haben. Aber das Schlimmste, das er ihr angetan hatte, war noch viel früher erfolgt, auch wenn die Konsequenzen erst in jüngster Zeit ersichtlich geworden waren: Er hatte ihr die letzte Hoffnung genommen, dass es je wieder besser werden würde. Und jetzt konnte er sie nicht einmal finden, um es wieder gutzumachen.

Plötzlich spürte Kishin eine kleine, aber starke Aura. Das sanfte, submaterielle Licht, das von ihr ausging, gemahnte an Hylias, auch wenn es kaum so hell wie das der Göttin war. In der nächtlichen, sternenlosen Düsternis flog etwas genau auf Kishin zu, das ihm erschien wie ein ungewöhnlich großer Leuchtkäfer mit den Flügeln einer Libelle. Als das blaue Lichtwesen näher kam, erkannte er jedoch, dass es sich dabei keinesfalls um ein Insekt handelte: Es sah genauso aus wie Hylia!

Das winzige, göttliche Wesen umkreiste einladend den verwunderten Gott, flog dann zielstrebig voraus. Ohne Zögern, ohne Überlegen folgte Kishin ihm durch den Forst und schließlich bis tief in den dicht bewachsenen Urwald. So geführt gelangte er an eine Lichtung, die er nur zu gut kannte.

Kishin ließ das Schwert fallen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dies ist das Kapitel, dem das Titelbild entlehnt ist, das Cossette Mirage mir gemalt hat <D

Trivia:
- Das Wörtle Winterspitze habe ich frei aus dem Lateinischen übersetzt: Pic Hibernia.Warum ich die Goronen in den Canyon gesetzt habe: Dort gibt es in Majora’s Mask Monster, Najiron, die aussehen wie zusammengekugelte Goronen... aber iwie auch nicht... Sie ploppen plötzlich aus dem Boden und machen abartige Geräusche. Die Viecher sind so gruselig, echt ma x°3 In ZeldaWiki heißt es, sie hätten sich so entwickelt, dass sie wie Goronen aussehen, um diese in eine Falle zu locken. Wer Majora’s Mask spielt, dem mag auffallen, dass es im Canyon aber keinen einzigen Goronen gibt ._.° Aber es hat sie einmal dort gegeben... zumindest laut dieser Fanstory lolSelbst dass sie Kishin „als einen der Ihren“ betrachten, ist nicht aus der Luft gegriffen. Glitcht man sich nämlich in Majora’s Mask die grimmige Gottheit nach Unruhstadt und spricht Leute an, so werden die immer die Texte runterbeten, die sie entweder zu Links normaler Gestalt oder allgemein sagen, wenn er verwandelt ist [size=8](bei manchen friert auch das Spiel ein xP)[/size]. Allein die Mitglieder der Bomber, die frei in der Stadt rumlaufen, halten ihn für einen Goronen. Wie verrückt muss man sein, dass man sich von so was zu solchen Details in einer Fanstory inspirieren lässt oOKishins Goronenschwerter entsprechen entfernt dem Biggoron-Schwert aus Ocarina of Time. Daher kommt auch ihre lange Schmiedezeit, aber hier dauert es schon länger als die bekannten fünf Jahre. Es ist immerhin ein Gott, der sie führt, daher müssen sie von bester Qualität sein. So was braucht Zeit.
- In Ocarina of Time heißt es, der Tropfen unter dem Augensymbol der Shiekah sei Zeichen für die Trauer über einen Verrat, der am Königshaus begangen wurde. Allerdings gibt es diesen Tropfen bereits in Skyward Sword, wo noch gar kein Königshaus bestanden hat [size=8](eine erzählerische Diskontinuität, wie ich finde, die man bei der Entwicklung von SS hätte vermeiden können)[/size]. Vielleicht gab es ja doch einen König in der einstigen menschlichen Zivilisation, bevor Hylia sie in den Himmel schickte, und der Verrat wurde an diesem begangen. Ich habe die ganze Sache einfach so interpretiert, dass Hylia selbst verraten wurde. Da viele Königslinien in unserer realen Welt sich auf eine Abstammung von Göttern beziehen, ergibt der Übergang von Hylia zum Königshaus von Hyrule auch iwo Sinn
- Der Ozean, seine Desertifikation, die dabei entstehenden Schluchten, die Steine der Zeit, die über die ganze Ranelle-Wüste verteilt sind, ihre Wirkung: Alles so und ähnlich in SS zu finden. Außerdem wird der Drache Ranelle, der wie die beiden anderen Drachen auch in enger Verbindung mit seinem Gebiet steht, durch die Auslöschung des Meeres nach dem Krieg schwer krank. Link macht in SS also gewissermaßen wieder gut, was ihm Kishin unwissentlich angetan hat. Komplett anzeigen

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